Prozessoptimierung auf der Basis von Modellen

Prozessoptimierung auf der Basis von Modellen

Die Handelnden in der Baubranche sind sich einig: Das Ziel der Anwendung von BIM ist es, Bauprozesse zu optimieren. Dem stimme ich zu. Denn auch ich bin der Meinung, dass die Nutzung von Modellen grundsätzlich förderlich ist bei dem Streben nach sicheren und schnellen Prozessen. Aber eben nur grundsätzlich. Denn es gibt auch Anwendungsfälle, bei denen Modelle eher hinderlich sind. Das gilt vor allem dann, wenn sehr große Datenmengen bewältigt werden müssen oder sich Anwender überfordert fühlen.

Frustration auf der Baustelle vermeiden

Dazu ein Beispiel. Mein Softwarehaus isl-kocher war involviert in ein Bauprojekt der Deutschen Bahn, bei dem es – sehr früh und damit auch fortschrittlich – ausschließlich ein 3D-Modell gab. Bei der Ausführung hatten die Poliere auf der Baustelle keine Pläne im 2D-Format mehr, sondern mussten sich mit einem komplexen 3D-Viewer abmühen, um so die notwendigen Maße abzugreifen. Gut vorstellbar, dass die Frustration bei den Ausführenden auf der Baustelle groß war.

Klar ist: Eine solche Arbeitsweise kann nur dazu beitragen, die Akzeptanz von BIM zu torpedieren. Aus meiner Sicht ist es in einem solchen Fall viel sinnvoller, die tatsächlich notwendigen Daten digital in einer Form zu präsentieren, die den klassischen – und damit bekannten – Papierplänen entspricht.

Datenmengen in Grenzen halten

Aus meiner Sicht ist es keinesfalls rückwärtsgewandt, sondern vielmehr der Sache dienlich, wenn in Teilprozessen bei der Bauausführung die Modelle „abgespeckt“ werden. So wird gewährleistet, dass Anwender in einer aus Plänen gewohnten 2D-Umgebung arbeiten können.

Ein weiterer Vorteil dieser Arbeitsweise ist, dass Datenmengen in Grenzen gehalten werden. Dazu ein weiteres Beispiel aus meinem Arbeitsumfeld: Bei einem derzeit in Ausführung befindlichen Infrastrukturprojekt eines unserer Kunden besteht das 3D-Modell aus mehreren zehntausend Bauteilen. Derart riesige Datenmengen können jedoch von keinem handelsüblichen Controller am Vermessungsgerät bewältigt werden. Solche mobilen Geräte sind nun mal keine CAD-Workstations. Zudem ist es für die Vermessung direkt vor Ort nicht wichtig, zum Beispiel alle Schichten unter der sichtbaren Oberfläche als 3D-Modell jederzeit im Zugriff zu haben.

Einfache Geometrien reichen oft aus

Aus den genannten Gründen ist es meiner Meinung nach nicht nur zulässig, sondern auch überaus sinnvoll, die umfassenden 3D-Modelle temporär für notwendige Prozess-Schritte auf einfachere Geometrien in 2D mit Höhenangaben zurückzuführen. Wichtig zu wissen: Bei intelligenter Verknüpfung der verschiedenen Sichten auf das Modell entstehen keinerlei Nachteile. Denn ein 3D-Modell kann auch über die Verschiebung von Eckpunkten in der 2D-Grafik verändert werden. Allerdings ist bei einer solchen Arbeitsweise zu beachten, dass die vereinfacht präsentierten Geometrien eine Verbindung zum Modell haben und dieses verändern bzw. ergänzen – je nach Bedarf des Anwenders.

Cloud-Technologie als Lösungsvorschlag

Bestens geeignet für eine oben beschriebene Nachführung und Ergänzung von Modellen ist aus meiner Sicht die Cloud-Technologie. Mein Softwarehaus isl-kocher hat sich aus diesem Grund für eine Kooperation mit dem Unternehmen vh software tools aus Oldenburg entschieden. Denn mit dem von der Firma angebotenen cloudbasierten Produkt €asyGIS arbeiten Poliere auf der Baustelle mit vertrauten Geräten wie Smartphone oder Tablet und führen so in Kombination mit ihren Vermessungsgeräten die notwendigen Arbeiten auf Grundlage einer 2D-Grafik mit Höheninformation aus. Durch die Cloud-Technologie sowie die stete Internetkonnektivität sind die Daten auf der Baustelle und im Büro jederzeit synchron. Gemessene Punkte, Flächen oder linienförmige Objekte – optional verknüpft mit Fotos – kommen in Echtzeit beim Bauleiter bzw. Abrechner im Büro an. Der lästige und fehleranfällige Datenaustausch per USB-Stick oder E-Mail entfällt. Einziger Nachteil bei dieser Arbeitsweise ist, dass auf der Baustelle eine mobile Internetverbindung zwingend benötigt wird.

Sicherheitsbedenken gegen das Arbeiten mit der Cloud sind aus folgenden Gründen nicht angebracht: Jedes Bauunternehmen bekommt eine eigene Domain bzw. Internetadresse für die Daten. Der Name dieser Domain ist nur der Firma bekannt. Darüber hinaus werden alle Daten verschlüsselt übertragen und abgerufen. Der Zugriff auf die Daten erfolgt über Benutzer, Kennwort und zusätzlich eine ID (Identifikation), die nur dem Unternehmen bekannt sind. Zusätzlich sollte bedacht werden, dass die in der Cloud stehenden Daten alleinstehend nicht wirklich wertvoll sind. Denn erst im Kontext mit dem Modell im Büro kann man weitergehende Schlüsse ableiten.

Vorteile der neuen Arbeitsweise

Die Arbeitsabläufe zwischen Baustelle und Büro werden in ausführenden Bauunternehmen Dank der neuen Vorgehensweise eine völlig neue Dynamik entwickeln. Insbesondere durch die mit dem Modell verknüpften Fotos, die in Echtzeit von der Baustelle zum Büro gesendet werden, können Entscheidungen viel schneller getroffen werden. Die Bauleiter im Büro sehen auf ihren Computern anhand von Fotos, wie sich die Situation vor Ort darstellt und können einzelne Arbeitsbereiche genau lokalisieren. Vom Schreibtisch aus können sie Entscheidungen treffen, wie etwa Material bestellen oder einen Anruf bei einem Versorgungsunternehmen als Leitungseigentümer tätigen.

Foto eines Kabelschadens georeferenziert im Modell angezeigt
Foto eines Kabelschadens georeferenziert im Modell angezeigt

Die Dokumentation der tagesaktuell fertig gestellten Leistungen auf der Baustelle ist ein weiterer bedeutender Pluspunkt einer Cloud-Anbindung. Voraussetzung dafür ist allerdings ein im Büro vorhandenes modellbasiertes System, welches den Baufortschritt an Modellen dynamisch darstellen kann. Hierbei bedeutet dynamisch, dass 3D-Körper nicht nur vollständig, sondern zudem mit Zeitbezug auch teilweise dargestellt werden.

Mein Fazit

Noch immer gibt es Vorbehalte im Bauwesen gegen neue Techniken wie BIM und Cloud. Ich bin der festen Überzeugung, dass Akzeptanz bei den Entscheidern – aber auch den Mitarbeitern – nur erreicht wird, wenn deren Bedenken berücksichtigt werden. Die schnelle Umsetzung der Digitalisierung können wir nur erreichen, wenn wir die Möglichkeiten optimal und intelligent verknüpfen. Grundsätzlich alles in die Cloud zu legen bzw. immer und überall voll in 3D arbeiten zu wollen, erscheint mir in der jetzigen Situation kontraproduktiv.

Frank Kocher

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