Modelle und Bauverträge
Liebe Leserinnen und Leser,
vordergründig erscheint es vielleicht zynisch, angesichts des Krieges in der Ukraine zur Tagesordnung überzugehen und über BIM zu diskutieren. Aber wenn wir in unseren westlichen Demokratien nicht optimistisch bleiben und weiter an einer lebenswerten Welt arbeiten, haben Despoten wie Putin ihr Ziel erreicht. Lassen Sie uns solidarisch mit der Ukraine sein und den Menschen helfen. Und die aus diesem Impuls heraus gewonnenen Energien auch nutzen, an der Verbesserung der Arbeitsweise im Bauwesen weiterzuarbeiten.
In meinem letzten Blog-Beitrag vom Januar 2022 habe ich mich mit dem IT-technischen Aufbau von Modellen beschäftigt und dabei dargelegt, wie Modelle im optimalen Fall gestaltet sein müssen, damit ein reibungsloser Datenaustausch im Bauablauf möglich ist. Mit dem heutigen Blog-Beitrag knüpfe ich an meine Aussagen an und beschreibe bauvertraglichen Rahmenbedingungen, die für die verschiedenen Modelle Planungsmodell, Ausführungsmodell und as-built-Modell gelten bzw. vereinbart werden sollten, damit der BIM-Prozess reibungslos funktioniert.
Das Planungsmodell
Grundlage für den durch Auftraggeber und Auftragnehmer zu schließenden Bauvertrag ist bislang das Leistungsverzeichnis, welches zu verwendende Materialien, Qualitäten und Mengen beschreibt. In den meisten Fällen ist das Leistungsverzeichnis ergänzt durch Pläne, die die zu bauende Geometrie beschreiben – und das vorwiegend in 2D. Derzeit befinden wir uns im Bauwesen in einer Übergangsphase, in der 2D-Pläne durch ein 3D-Modell ersetzt werden sollen.
Wenn vollumfänglich nach der Methode BIM gearbeitet werden soll, beschreibt das eben genannte 3D-Modell jedoch nicht nur die Geometrie eines Bauwerks. Das Modell enthält vielmehr auch Angaben zu den Eigenschaften der Objekte, auch Attribute genannt, ebenso Aussagen Materialien und Qualitäten. Schnell wird deutlich: Hier besteht die Gefahr einer Daten-Redundanz, weil sowohl im Modell als auch im Leistungsverzeichnis Beschreibungen hinterlegt sind.
Um meine Aussagen praxisnah zu verdeutlichen, schildere ich den Sachverhalt an einem Beispiel: Möchte ein Polier auf einer abzuwickelnden Baustelle das Material für ein Bauteil oder einen Bauabschnitt bestellen, kann er schon heute die Informationen dazu aus dem Modell abrufen. Jedoch gilt letztendlich als vertraglich vereinbart, was im Leistungsverzeichnis steht. Auch wenn das Bauunternehmen, in dem der Polier arbeitet, GAEB Version 3.3. nutzt und somit Bauteile des Modells mit Positionen aus dem Leistungsverzeichnis verknüpft, sind trotzdem Fehler in der Bauausführung nicht auszuschließen. Diese treten dann auf, wenn sich Angaben im Modell von den Angaben im Leistungsverzeichnis unterscheiden – was sehr leicht möglich ist.
Welche Lösung gibt es aus meiner Sicht? Die logische und korrekte Arbeitsweise kann nur sein, bei umfänglichen Baumaßnahmen das Leistungsverzeichnis und die 2D-Pläne konsequent durch ein Modell zu ersetzen. Das bedeutet jedoch nicht, dass Leistungsverzeichnisse grundsätzlich abgeschafft werden müssen. Für Kleinprojekte macht es oft keinen Sinn, zu modellieren. Zudem gibt es oft Leistungen – wie zum Beispiel die Baustelleneinrichtung – die nicht direkt zu Bauteilen gehören und damit unabhängig vom Modell betrachtet werden.
Für diese Herausforderungen gibt es meiner Meinung nach zwei praktikable Lösungsansätze. Erstens: Das Leistungsverzeichnung besteht nur noch aus einer Position „Bauwerk“, die pauschal auf das Modell verweist plus Positionen, die Leistungen beschreiben, die nicht modelliert wurden. Oder Zweitens: Leistungen wie Baustelleneinrichtung und Verkehrssicherung werden als Platzhalterobjekte (kleine Quader) modelliert. Auf ein Leistungsverzeichnis kann damit ganz verzichtet werden.
Bei dem heute gültigen Vergabeverfahren – welches im Übrigen dringend zu überdenken ist, weil es dem zentralen BIM-Gedanken der Kollaboration entgegensteht – wäre ein oben beschriebenes Planungsmodell dann die einzige Grundlage für die Kalkulation und das Angebot. Die Anbieter von Bausoftware müssten allerdings zeitnah ihre Leistungsverzeichnis-basierte Kalkulation auf modellbasiert umstellen. Bauunternehmen würden schlussendlich nicht mehr Preise für Positionen anbieten, sondern für Bauteile – was wesentlich anschaulicher wäre.
Das Ausführungsmodell
Wie ich schon mehrfach in meinen Blog-Beiträgen beschrieben habe, beachten Planende im Wesentlichen Entwurfsrichtlinien. Im Straßenbau sind dies zum Beispiel Kurvenradien, Steigungen und Querneigungen. Im Kanalbau geht es vor allem um die Hydraulik. Aber die für die praktische Bauausführung wichtigen Details können Planende gar nicht endgültig festlegen.
Nur die bauausführende Firma hat die Kenntnis über die Besonderheiten des eigenen Maschinenparks, der eingesetzten Bauteile und des vorhandenen Mitarbeiterstamms. Konkret bedeutet das: Im Straßenbau kann nicht erwartet werden, dass Planende ein Digitales Geländemodell (DGM) entwerfen, welches den speziellen Anforderungen der Maschinensteuerung der Baufirma entspricht, weil der künftige Auftragnehmer und dessen Maschinenpark zum Zeitpunkt der Planung noch nicht bekannt sind. Im Kanalbau ist es ähnlich. Hier entscheidet erst die Baufirma, aus welchen konkreten Bauteilen von welchem Lieferwerk Schächte und Haltungen erstellt werden und sie ändert zum Vermeiden von Verschnitt in der Regel die Geometrie geringfügig.
Da eine moderne digitalisierte Bauausführung mit GNSS (landläufig GPS)-Steuerungen abgewickelt wird, ist die Überarbeitung des Planungsmodells Teil der Arbeitsvorbereitung und muss bei dem heutigen Vergabeverfahren zeitnah nach Auftragsvergabe durchgeführt werden. Die DGM`s für die Maschinensteuerung sind aus dem Modell abzuleiten. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Soll und Ist auseinanderlaufen und es ist zusätzliche Arbeit für die getrennte Erstellung der DGM für die Maschinensteuerung notwendig.
Abweichend von der heutigen Praxis, DGM´s für die Maschinensteuerung nur intern zu verwenden und später wieder mehr oder weniger klassisch abzurechnen, bietet sich die große Chance auf eine Aufwandreduzierung auf beiden Vertragsseiten. Diese Reduktion wäre möglich, wenn das von der Baufirma erstellte Ausführungsmodell mit dem Planungsbüro und dem Auftraggeber abgestimmt und zur Grundlage des Bauvertrags und der Abrechnung würde. Gelegentlich hört man dazu den Begriff „Vertragsmodell“.
Wenn die auftraggeberseitige Bauaufsicht mit diesem leicht geänderten (Vertrags- bzw. Ausführungs-)Modell einverstanden ist, hat die Baufirma zum einen vor Bauausführung die Sicherheit, dass die Änderungen, die aufgrund seiner praktischen Erfahrungen eingeflossen sind, akzeptiert werden. Zum anderen sind, vorbehaltlich unvorhergesehener Änderungen, die Mengen der Schlussrechnung vorab bekannt. Das Schreiben von Abschlagsrechnungen beschränkt sich auf die Meldung, welche Bauteile ganz oder teilweise fertiggestellt sind. Daraus ergibt sich wiederum eine Zeit- und schlussendlich Kostenersparnis.
Ergeben sich keine unvorhergesehenen Änderungen, etwa durch die unerwartete Lage von Versorgungsleitungen oder bisher unbekannten Bodenverhältnisse, die in das Modell eingearbeitet werden müssen, ist das mit Informationen angereicherte Ausführungsmodell am Ende auch das as-built-Modell.
Mitarbeitende in der Bauüberwachung und Bauabrechnung werden durch die Nutzung von Modellen jedoch nicht arbeitslos. Eventuell vorhandene Ängste sind meiner Meinung nach völlig unbegründet. Statt wie bisher nachträglich alle Bauleistungen noch einmal gemeinsam aufzumessen, muss zukünftig während der Bauausführung regelmäßig geprüft werden, ob nach dem Soll-Modell gebaut wird. Damit wird das vorhandene Fachpersonal in die neuen Prozesse eingebunden. Zum Beispiel werden auch zukünftig Schichtstärken im Straßenbau geprüft, um die Qualität sicherzustellen.
Zusammenfassung
Mit Blick auf meine bisher gemachten Aussagen kann aus meiner Sicht eine modellbasierte Bauausführung künftig wie folgt ablaufen:
Das Planungsmodell muss gemäß den geltenden Entwurfsrichtlinien erstellt und von den Mengen weitgehend genau sein – es ersetzt das Leistungsverzeichnis. Das aus dem Planungsmodell entwickelte Ausführungsmodell ist im optimalen Fall auch das Vertrags-, Abrechnungs- und as-built-Modell. Wenn das Ausführungsmodell so gestaltet ist, dass sich die Maschinensteuerung „auf Knopfdruck“ ableiten lässt, entfällt der heutige Zusatzaufwand zur Erstellung von DGM`s für die Maschinensteuerung.
Der Aufwand zur Erstellung und Prüfung von Abrechnungen reduziert sich bei modellbasierter Abrechnung erheblich. Freiräume können in die Qualitätskontrolle investiert werden oder führen zu einer Kostenminderung.
Eventuell vorhandenes Misstrauen von Projektbeteiligten wird abgebaut, wenn die Vertragspartner gemeinsam dem verabschiedeten Vertragsmodell vertrauen und auf dieser Basis arbeiten und abrechnen. Das Ausführungsmodell sollte dazu auf einer Plattform (CDE – Common Data Environment) platziert werden und für beide Seiten immer zugänglich sein. Änderungen am Modell müssen rechtssicher dokumentiert werden.
Ausblick
Dass dieser als Idealprozess zu bezeichnende Bauablauf kurzfristig Einzug in die Praxis hält, ist leider derzeit nicht zu hoffen. Reibungslos wird es erst funktionieren, wenn die Attribute, die am Planungsmodell das Leistungsverzeichnis ersetzen sollen, verständlich strukturiert sind, nicht jedes Planungsbüro mit eigenen Standards arbeitet, sondern im besten Fall genormte Attribute verwendet werden. Mit dem Willen der Auftraggeber und passenden Verträgen zwischen den am Bauprozess Beteiligten könnte jedoch bald eine Beschleunigung möglich sein.
Und noch ein wichtiger Aspekt: Alle am Markt befindlichen Kalkulationsprogramme müssten von positionsbasierter auf bauteilbasierte Kalkulation umgestellt werden. Das wird sicher nicht so schnell geschehen, Softwarehäuser brauchen hier Vorlauf.
Sehr wichtig ist es, dass die VOB als Vertragsbestandteil an das modellbasierte Arbeiten angepasst wird. Noch heute ist dort nachzulesen, dass Baufirmen Anspruch auf eine in der Örtlichkeit abgesteckte Achse haben, obwohl schon seit über 20 Jahren mit Maschinensteuerungen gearbeitet wird und niemand mehr die Pflöcke in der Wiese benötigt. In die VOB gehört vielmehr der Anspruch des Auftragnehmers auf ein Modell und/oder Grunddaten, die die schnelle Neumodellierung oder Änderung ermöglichen. Zudem müssen die Regeln für die Abrechnung angepasst werden. Übermessungsregeln zum Beispiel sind nicht konform mit dem modellhaften Arbeiten. Wenn das Volumen des Modells bekannt ist, sollte beispielsweise nicht mehr ersatzweise über laufende Meter abgerechnet werden. Denn die Arbeitsweise, die zur Erleichterung des manuellen Aufmaßes gedacht waren, verkomplizieren die modellbasierte Abrechnung nur. In der VOB Teil C ist nachzulesen, dass nach Plänen abzurechnen ist, wenn solche vorliegen. Dieser Passus muss so erweitert werden, dass auch die modellbasierte Abrechnung zu akzeptieren ist.
Leider bin ich wenig optimistisch, dass solche umfangreichen Anpassungen der Rahmenbedingungen – wie der VOB – schnell erfolgen. Es bleibt daher Aufgabe der Software-Entwickler, Lösungen für die derzeitige Übergangsphase zu schaffen, mit denen Unternehmen wirtschaftlich arbeiten können. Ausführenden Baufirmen müssen in die Lage versetzt werden, Vertragsmodelle zu entwickeln, die das Arbeiten ohne Einschränkung durch die VOB möglich machen.
Als gut umsetzbaren Zwischenschritt sehe ich die Forderung, dass Planende immerhin alle für eine schnelle Neumodellierung notwendigen digitalen Daten übergeben müssen, auf deren Basis eine schnelle Neumodellierung möglich ist. Denn ausführenden Unternehmen würde eine solche Arbeitsweise eine deutliche Effizienzsteigerung ermöglichen. Und das auch ohne das Vorliegen eines qualifizierten Planungsmodells. Als rechtliche Rahmenbedingungen wären dafür neu zu schaffen: Das Recht des Auftragnehmers auf Daten wie Achse, Gradiente, Urgelände-DGM und die Fahrbahnränder als 3D-Linien in digitaler Form sowie das Recht auf Anerkennung einer modellbasierten Abrechnung.
Frank Kocher
2 thoughts on “Modelle und Bauverträge”
Hallo Herr Kocher warum kann die Lösung nicht auch Modell + Leistungsverzeichnis + Zeichnungen lauten? Zukünftig sehe ich das Modell auch als Hauptdatenquelle aber wenn wir aus dieser einfach und schnell Listen (LV) und Zeichnungen ableiten können sind wir umso flexibler. Sie können heute mit einem LV 100% einer vertraglicher Leistung beschreiben ein Modell kann das nicht leisten. Wie könnte man mit einem Modell die Vorhaltezeit einer Verkehrssicherung oder einer geschlossenen Grundwasserabsenkung beschreiben? Beides kann für Bauprojekte erhebliche Kosten verursachen. Diese Leistungen müssen aber zwischen AG AN NU vertraglich geregelt sein. Problematisch wäre es auch, zwischen AG und AN modellbasierte Verträge zu schleißen und zwischen AN und NU LV-basierte.
BIM muss sich in die jetzt üblichen Abläufe integrieren und diese Schritt um Schritt verbessern. Mit ihrer Software funktioniert genau das sehr gut.
Guten Morgen Herr Kreil,
danke für den engagierten Hinweis! Offensichtlich habe ich mich am Ende zu vereinfacht ausgedrückt. Weiter oben habe ich ja dargelegt, dass Leistungsverzeichnisse keineswegs vollständig überflüssig sind. Für den Anwender ist es meines Erachtens aber unübersichtlich und fehlerbehaftet, wenn im LV-Langtext und den Attributen der Bauteile im Prinzip das Gleiche steht und auch widersprüchlich sein kann. Mein Lösungsvorschlag war, entweder die Leistungen, die das Modell selbst beschreibt, als eine Pos. im LV zusammenzufassen („Ein Stck Bauwerk wie im Modell beschrieben“) und Pos. wie Verkehrssicherung als weitere Einträge im LV zu haben oder bei vollständigem Verzicht auf das LV könnte man solche Leistungen in Platzhalter-Objekte (Kleine Würfel) packen.
Vielleicht ist die Vision einer bauteilorientierten Kalkulation auch noch nicht zu Ende gedacht, aber dieses Datenchaos aus freien Langtexten und wilden Attributen im Modell steht einer strukturierten Arbeit entgegen. Mit einem System wie DBD-BIM könnte man wahrscheinlich, das müsste man noch klären, den Langtext und die Attribute auch automatisiert synchronisieren, aber wenn der Planer nicht mit DBD arbeitet, ist das auch keine Lösung.
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