Kann man der modellbasierten Abrechnung trauen?

Kann man der modellbasierten Abrechnung trauen?

Baufachleute äußern immer wieder Zweifel, ob eine modellbasierte Bauabrechnung funktionieren kann und ob man ihr Vertrauen schenken sollte. Im Gegensatz dazu ist die „klassische Bauabrechnung“ gewohnt und etabliert. Sie wird akzeptiert – die modellbasierte Abrechnung als Neuerung jedoch erst einmal kritisch hinterfragt. Wenn man Gründe finden möchte, warum dieses Meinungsbild aktuell vorherrscht, muss man sich mit der Vergangenheit der Bauabrechnung beschäftigen und dabei auch die Frage nach ihrem Sinn stellen.

Ein Blick in die Historie der Bauabrechnung

Als ich Mitte der 1980er Jahre in das Berufsleben einstieg, gab es in den Büros der Baufirmen bereits die ersten Personalcomputer mit Laufwerken für 5 ¼ Zoll Disketten. Es gab auch schon Programme für die Abrechnung nach Querprofilen und Prismen im Bauwesen. Aber insbesondere Oberflächen im Straßenbau wurden wie eh und je mit dem Laufrad und Bandmaß aufgemessen.

Eine grafische Mengenermittlung aus Plänen, wie sie mittlerweile mit Hilfe der CAD-Technik möglich ist – und von Auftraggebern wie der Deutschen Bahn auch gefordert und allgemein akzeptiert wird – gab es zu dieser Zeit nicht. Bestenfalls konnten in den von Hand gezeichneten Plänen die Flächengrößen mit dem Planimeter ungefähr ermittelt werden. Dieses überschlägige Vorgehen war nur für die Mengenermittlung bei der Ausschreibung ausreichend. Für die Abrechnung war das Verfahren zu ungenau.

Die Aufmaße auf den Baustellen

Erinnern wir uns: Die Messungen auf den Baustellen wurden früher als Handskizzen auf Aufmaßblöcke übertragen und als gemeinsames Aufmaß von Auftraggeber und Auftragnehmer direkt vor Ort unterschrieben. Jeder Beteiligte bekam eine Ausfertigung bzw. einen Durchschlag und im Büro der Baufirma wurden dann die Maße in die Bauabrechnung eingetippt. Soweit die Theorie.

In der Praxis funktionierte dieses Prozedere jedoch nicht. Bei regnerischem Wetter durchweichte der Aufmaßblock und machte ein Schreiben unmöglich. Mit Bandmaß und Rollrad in der Hand konnten keine ordentlichen Skizzen gemacht werden. Was war das Ergebnis? Oft wurde vor Ort auf Schmierblätter gezeichnet, die der Bauleiter der ausführenden Firma mit ins Büro nahm. Die Inhalte wurden fachgerecht in neue Aufmaßblätter eingezeichnet, die dann im Nachgang als vermeintlich gemeinsames Aufmaß auf der Baustelle beidseitig unterschrieben wurden. Mir persönlich war nie ganz wohl bei dieser Arbeitsweise. Denn bei der Exaktheit der Skizzen auf den neuen Aufmaßblättern war eigentlich klar, dass das Ganze nicht im Regen auf der Baustelle entstanden sein konnte.

Fehlerquellen? Massenhaft!

Beim Lesen dieser Beschreibung wird klar: Bei diesen Aufmaßen bestand ein riesiges Potential an Fehlerquellen. Bereits die Aufteilung der Fahrbahn in Kurven und Einmündungen als Teilflächen aus Rechtecken, Dreiecken und Kreisbogenabschnitten war ungenau. Zudem traten immer wieder Fragen auf wie: Hat man alle Teilflächen ins Aufmaß übernommen? Oder Flächen vergessen? Oder manche Teile vielleicht doppelt notiert? Da man die Teilflächen auf den verschiedenen Aufmaßblättern selten in einem großen Zusammenhang sah, war die Vollständigkeit nur schwer zu beurteilen.

Ein weiteres Fehlerpotential tat sich beim Messen auf. Lag das Bandmaß-Ende tatsächlich auf dem vereinbarten Punkt oder hat es der Bauleiter der Gegenseite eventuell zu seinen Gunsten verschoben? Und: Wurden die Schmierskizzen korrekt übertragen und die Zahlen dann fehlerfrei in die REB 23.003 übernommen?

Ich sage: Eigentlich war es damals völlig sinnfrei, die Berechnung der Mengen rechnerisch zu prüfen. Denn die Entstehung der Datenbasis war ja schon ein Desaster. Zusätzlich sind Fehler und Mogeleien bei dem Verfahren unvermeidbar. Aus dem Aspekt heraus ist es klar, dass die grafische Mengenermittlung auf Basis von Plänen einen Erfolgsgeschichte werden musste – was mittlerweile unter Baufachleuten auch weitgehend akzeptiert wird.

Ausgedient: Die klassische Bauabrechnung

Der „klassischen Bauabrechnung“ sollte man meiner Meinung nach aus oben dargelegten Gründen nicht weiterführen. Denn neben der Problematik der massenhaft vorhandenen Fehlerquellen war auch der zeitliche Aufwand bei der ständigen Übertragung und Prüfung der Daten von Medium zu Medium für Auftraggeber als auch für Auftragnehmer sehr hoch.

Dennoch gibt es immer noch Kolleginnen und Kollegen in der Baubranche, die dem alten Verfahren der „klassischen Bauabrechnung“ vertrauen. Vermutlich weil es immer so war und vielleicht auch, weil man Papier anfassen kann.

Vorteilhaftes Arbeiten mit Modellen

Wenden sich Baufachleute ab von der „klassischen Bauabrechnung“ und arbeiten dagegen mit Modellen, fallen die vielen Medienbrüche weg. Der Aufwand für beide Vertragspartner wird erheblich kleiner, weil die ständigen Übertragungen der Daten entfallen und beim Einsatz geeigneter Software der Prozess der Mengenermittlung zudem weitergehend automatisiert wird. Einen wichtigen Aspekt möchte ich ergänzen: Der Aufwand für die Abrechnung kann dramatisch verringert werden, wenn der gesamten Prozess von der Ausschreibung bis zur Abrechnung digital gesteuert und abgewickelt wird.

Nochmals ein Blick zurück: Das gemeinsame Aufmaß auf der Baustelle war damals notwendig, weil die Beteiligten gar keine Möglichkeit hatte, genaue Mengen aus Plänen zu ermitteln. Das ist schon heute mit der grafischen Mengenermittlung auf Basis von CAD-Plänen anders.

Und mit der Einführung von BIM bekommt die Veränderung des Bauprozesses nochmals eine völlig neue Dynamik. Denn wenn Planende ein korrektes Modell erstellen, liegen die Mengen für die Abrechnung eigentlich schon zum Zeitpunkt der Ausschreibung vor. Vorausgesetzt, es wird gebaut wie geplant.

Die Zukunft der Bauabrechner

Trotz dieser Aussagen bin ich sicher: Qualifizierte Bauabrechner werden auch künftig nicht überflüssig. Jedoch wird sich ihre Arbeitsweise ändern. Aufgabe wird es nicht mehr sein, die komplette Mengenermittlung zu 100 Prozent nach Fertigstellung neu zu entwickeln. Vielmehr müssen Bauabrechner zukünftig im Bauprozess ständig prüfen, ob die Soll-Maße eingehalten wurden bzw. es zu Abweichungen kommt. Die Neumessung wird ersetzt durch eine Prüfmessung, die für die Qualitätskontrolle im Rahmen der Selbstüberwachung der Baufirmen ohnehin notwendig ist.

Wird so gearbeitet, können die Ausschreibungsmengen zu Abrechnungsmengen werden. Ist das nicht der Fall, was im Tiefbau („vor der Schippe ist es dunkel“) viel häufiger vorkommt als im Hochbau, müssen Bauabrechner das Modell vom Planungs-Modell zum as-built-Modell weiterentwickeln.

Auch die Rechnungsprüfung wird mit der Verwendung von Modellen viel einfacher. Vertreter von ausführenden Firmen müssen mit der Auftraggeberseite nur noch diskutieren, wo und warum es Änderungen gab. Gab es keine Anpassungen und wurde nach Plan gebaut, werden einfach die Ausschreibungsmengen in die Abrechnung übernommen.

Das von Auftraggebern gelegentlich vorgetragene Argument, es sei nicht zu prüfen, ob der Auftragnehmer das Modell manipuliert hat, entfällt dann, wenn die Ausschreibungsmengen zu Abrechnungsmengen werden und Änderungen am Modell und deren Gründe offengelegt sind.

Die Prüfung der Abrechnung vereinfacht sich

Im beschriebenen modellhaften Arbeiten gibt es außerdem viel bessere Möglichkeiten der Prüfung als bei der „klassischen Bauabrechnung“. Mit geeigneter BIM-Software können Modelle sehr gut verglichen werden. So lassen sich das Planungs- und das Abrechnungsmodell sowie die möglicherweise vorhandenen Differenzen sehr anschaulich in 3D darstellen.

Auch der Vergleich zwischen Modell und Realität ist deutlich einfacher. Zum Beispiel kann mit einem 3D-Modell auf dem Vermessungscontroller sehr schnell ein Planum auf Höhenfehler geprüft werden.

Höhenkontrolle am Planum

Weiterhin lassen sich Höhendifferenzen von Punkten einer Punktwolke mit den Höhen aus dem Modell ermitteln. Es ist sogar möglich, mit einer Augmented-Reality-Brille das Modell mit der Realität vor Ort zu vergleichen. Ich muss allerdings sagen, dass die Akteure im Bauwesen von dieser wünschenswerten Arbeitsweise in der Breite des Marktes noch weit entfernt sind.

Voraussetzung für modellhaftes Arbeiten

Die Vision eines durchgehend modellhaften Arbeitens im Bauwesen kann jedoch nur funktionieren, wenn bereits die Planenden korrekte Modelle erstellen und die Mengen zur Ausschreibung sehr exakt ermitteln. Dass dies derzeit leider nicht der Fall ist, liegt nicht an den Planenden. Gründe hierfür sind die zu geringen Honorare sowie die nicht zu BIM passende Vergabepraxis.

Jedoch: Innovative Baufirmen haben sich auf keine Wartesituation eingelassen, sondern andere modellbasierte Arbeitsweisen für sich entdeckt. Darüber berichte ich in meinem nächsten Blogbeitrag.

Frank Kocher

5 thoughts on “Kann man der modellbasierten Abrechnung trauen?

  1. Qualifizierte Bauabrechner wachsen nicht auf den Bäumen. Deshalb ist es wichtig, dass die Bauabrechner neue Werkzeuge bekommen. Es muss in kurzer Zeit mehr prüffähig abgerechnet werden, als noch früher. Auf die Bauabrechner der Zukunft warten spannende Aufgaben.

    1. Hallo Herr Pfleghar,
      Sie haben völlig recht, aber um so mehr ist es wichtig, die Auftraggeberseite mit ins Boot zu nehmen. Viel unnötiger Aufwand entsteht doch durch übertriebene Vorgaben der staatlichen Stellen…. Daran versuche ich in den Ausschüssen, in denen ich sitze, zu arbeiten.
      Bessere Zusammenarbeit und mehr gegenseitiges Verständnis wäre gut.

  2. Dass die Planenden weithin keine korrekten Modelle erzeugen, liegt nicht zuletzt auch am Einsatz von gängiger Planungssoftware, die hierzu schlicht nicht geeignet ist.

    1. Hallo Herr Mörtel,
      da haben Sie völlig recht. Ich denke aber auch, dass es besonders im Infrastrukturbau nicht gelingen wird, dass Planer Modelle erstellen, die allen Belangen der Bauausführung gerecht werden. Von daher habe ich viel Sympathie für die Idee, dass die bauausführende Firma mit all ihrer Sachkenntnis ein ‚Vertragsmodell‘ erstellt. Genau den Punkt behandelt mein nächster Beitrag.

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