UTM behindert BIM-Anwendungen

UTM behindert BIM-Anwendungen

Für einen vollständigen Lebenszyklus eines Infrastruktur-Bauwerkes im Sinne von big BIM spielen Geodaten aus Geo-Informations-Systemen (GIS) eine große Rolle. Als Planungsgrundlage benötigen Planer Gelände- und Katasterdaten. Nach der Fertigstellung des Bauwerks sollen die as-built-Daten in der Regel dann wieder in den Geodaten-Bestand überführt werden.

Gerade bei diesen Übergängen zwischen Geo- und Planungsdaten gibt es heute leider Probleme.
CAD-Systeme und solche Anwendungen, die eine 3D-Modellierung unterstützen, arbeiten mit kartesischen Koordinatensystemen im Maßstab 1:1. Das heißt, es wird ein digitaler Zwilling erzeugt.

Unterschied zwischen Gauß-Krüger- und UTM-Koordinatensystem

Bis vor einigen Jahren war in Deutschland das Gauß-Krüger-Koordinatensystem maßgebend in der Vermessung. Bis 2015 wurde im Rahmen der Internationalisierung in den Bundesländern nach und nach das Universal Transverse Mercator (kurz: UTM)-System als amtliches Koordinatensystem eingeführt.

Zum Unterschied der beiden Koordinatensysteme sollten Baufachleute folgendes wissen: Beide Koordinatensysteme projizieren die Geodaten der gekrümmten Erdoberfläche auf einen gedachten Zylinder. Dieser Zylinder wird beim UTM-System durch das Ellipsoid der Erde gesteckt. Bei diesem Vorgehen handelt es sich um eine sogenannte Mercator-Projektion. Dabei werden immer nur 6 Grad breite Zonen der Erde betrachtet, die aussehen wie das Segment einer Orange. Innerhalb dieser Zonen gelten je nach Lage der zu überplanenden Region unterschiedliche maßstäbliche Verzerrungen zwischen Erdoberfläche und Kartenprojektion.

Bild 1: Das Ellipsoid, der Schnittzylinder und die 6° breite Zone
UTM Abbildung auf den Schnittzylinder

Verzerrungen könnten nicht mehr vernachlässigt werden

Bei der Anwendung des Gauß-Krüger (GK)-Koordinatensystems im Bauwesen waren die maßstäblichen Verzerrungen vernachlässigbar. Anwender konnten die GK-Koordinaten ohne Probleme in ihre CAD-Systeme einlesen und dann in diesem Netz planen.

Bei dem UTM-Koordinatensystem sind die maßstäblichen Verzerrungen nicht mehr überall vernachlässigbar, unter anderem auch, weil die Zonen eine Breite von 6 Grad haben. Der Raum München zum Beispiel liegt in dem Bereich, in dem der gedachte Zylinder das Ellipsoid durchdringt, der Maßstabsfaktor ist hier 1,00. Orte, die innerhalb der Linie Bremen-Stuttgart liegen – das trifft zum Beispiel auch für Gemeinden im Rhein-Main Gebiet zu – befinden sich im Bereich der Zonenmitte und somit im Segment der größten Maßstabsänderung. Im Ruhrgebiet und der Rheinschiene bei Köln sind die Maßstabsänderung dagegen kleiner, aber dennoch nicht zu vernachlässigen.

Bild 2: Schematische, stark überhöhte Darstellung der Zone 32 im Schnitt
Die auf den Schnittzylinder projizierten Längen ändern sich um den Maßstabsfaktor ‚M‘
Maßstäbliche Verzerrung in der UTM Zone

Koordinaten müssen transformiert werden

Erhalten Planer die Kataster-Daten in den CAD-Formaten DWG oder DXF, besitzen diese heute UTM-Koordinaten. Das wäre an sich noch kein Problem, würden diese Koordinaten beim Import in ein lokales CAD-Koordinatensystem transformiert. Die große Gefahr besteht darin, dass Planer die DWG-Pläne wie gewohnt einfach einlesen und darin planen, ohne vorher transformiert zu haben. Die Geometrie der neu geplanten Objekte wäre dann falsch, weil die Bauwerksgeometrie eigentlich im Maßstab 1:1 gedacht war, nun aber als „falsche“ UTM-Koordinaten gespeichert und exportiert werden.

Die eigentlichen Probleme entstehen dann, wenn ausführende Bauunternehmen anhand der von Planern zur Verfügung gestellten Zeichnungen oder Modellen (zum Beispiel an dem achtstelligem Rechtswert) UTM-Koordinaten erkennen und den Plan beim Import in ihr CAD- bzw. BIM-System transformieren. Das Kataster wird dann in der Baufirma korrekt in das ebene Koordinaten-System transformiert, die Planung jedoch wird um den Maßstabsfaktor verzerrt.

Veränderungen von Bauwerksdaten sind keine Aufgaben von Baufirmen

Das bedeutet: Bei Projekten mit deutlich von 1 abweichenden Maßstabsfaktoren werden Längen von Bauwerken durch die fehlerhafte Arbeitsweise und anschließender Transformation verfälscht. Komplexer wird es noch bei Trassierungen: Achsen von Straßen- und Bahntrassen müssen konsequent transformiert werden. Das bedeutet: Nicht nur die Koordinaten sind zu transformieren, auch Werte wie Längen, Radien und Klothoidenparamter müssen entsprechend angepasst werden. Zudem sind alle stationsbezogenen Daten wie z.B. Querprofile zu transformieren und bekommen völlig ‚unrunde‘ Stationen und Abstände! Wer mag schon ein Querprofil an Station 19.923?
Baufirmen sollten daher beachten: Die maßstäbliche Veränderung dieser Achsparameter ist nicht ihre Aufgabe! In solche Haftungsrisiken sollten sich Auftragnehmer keinesfalls begeben und besser das Gespräch mit Planern und gegebenenfalls auch Auftraggebern suchen.

Was passiert, wenn die ausführende Baufirma die Daten nicht transformiert? Dann ist zwar das Modell maßstäblich, das Kataster jedoch nicht. Falls der Planer wie oben angenommen unkorrekt gearbeitet hat, ist in diesem Sonderfall jedoch die Vermeidung der Transformation der bessere Weg, damit wenigstens das korrekte Modell absteckt und gebaut werden kann.

Klärung der historischen Entstehung der Daten

Meine Empfehlung ist es, dass Bauunternehmen Planungsdaten in UTM ablehnen oder zumindest mit den Planern abklären, wie die Daten historisch entstanden sind und wie damit umzugehen ist. Der ideale Weg ist, wenn Planer bereits die Katasterdaten in ein ebenes, lokales System überführen und dann ihre Modelle im Maßstab 1:1 darin planen. Ansonsten tragen Planer auch das Risiko, wenn Grunderwerbspläne nicht korrekt sind. Anders als im Hoch- und Tiefbau werden im Straßenbau häufig fremde Grundstücke in Anspruch genommen oder es wird sehr dicht an die Grenze gebaut. Maßstabsfehler zwischen Planung und Kataster dürfen hier nicht toleriert werden.

Probleme auch bei der Abrechnung

Praktische Probleme sehe ich zudem auch bei der Prüfung von Bauabrechnungen. Heute ersetzen zunehmend leicht zu bedienende GPS-Rover die Arbeit mit Bandmaß und Zollstock (genauer ist der Begriff GNSS-Rover, wobei die Abkürzung für global navigation satellite system steht). Alle Sonderleistungen, die nicht im 3D-Modell berücksichtigt sind, müssen weiterhin von Hand aufgemessen werden.

Anders als bei der Messung mit Totalstationen liefern GNSS-Rover keine lokalen Koordinaten, sondern Längen- und Breitengrade gemäß dem World Geodetic System 1984 (WGS84). Oder es werden über eine Korrekturanwendung UTM-Koordinaten erzeugt. Diese Daten müssen anschließend über die bereits erwähnten Festpunkte ins lokale Koordinatensystem des Projektes transformiert werden. Dabei ändern sich durch den Maßstabsfaktor auch die Längen. Daraus entsteht ein weiteres Problem. Rechnungsprüfer können Fehler vermuten, wenn Längen aus GNSS-Koordinaten nicht mehr exakt mit Längen im Plan und in der Abrechnung übereinstimmen. Nochmals die Rückschau: Bei Verwendung der Gauß-Krüger-Koordinaten traten diese Unterschiede nicht auf, da in der Regel überall im gleichen System geareitet wurde.

Mögliche Lösungswege

Es wird deutlich: An verschiedenen Übergängen des BIM-Workflows sind seit Einführung des UTM-Koordinatensystems Fehler möglich. Helfen würde allen am Bauvorhaben Beteiligten ein offizieller Leitfaden, auf den ausführende Baufirmen in der Kommunikation mit Planern und auch gegenüber Rechnungsprüfern zurückgreifen könnten. Weiterhin wäre es hilfreich, wenn in der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) verankert wäre, dass Bauunternehmen Anspruch haben auf Übergabe der Ausgangsdaten in einem fachlich korrekten Koordinatensystem.

Frank Kocher

4 thoughts on “UTM behindert BIM-Anwendungen

  1. Im Stufenplan Digitales Bauen heißt es vollkommen richtig: „Kern der Methode BIM ist die Erstellung von digitalen dreidimensionalen Bauwerksmodellen.“
    Es ist naheliegend, dafür ein kartesisches Koordinatensystem zu verwenden, welches sich dadurch auszeichnet, dass die 3 Raumachsen senkrecht zueinander verlaufen, geradlinig und frei von Masstabsverzerrungen sind.
    Die Abbildung der Erdoberfläche in ebene Koordinatensysteme ist immer Verzerrungen unterworfen. Dass daraus resultierende Karten die Erde verfälscht anzeigen, bescherte dem Nürnberger Martin Behaim schon im 15. Jhd. den Auftrag, einen Globus zu konstruieren. auf dem die räumlichen Zuordungen korrekt veranschaulicht werden konnten. Über diese Naturgesetze können sich auch unsere heutigen CAD-Systeme nicht hinwegsetzen. Je größer der in 2D abgebildete Ausschnitt der Erdoberfläche ist, um so größer auch die unliebsamen Verzerrungen.
    Die Abbildung in UTM betrifft nun einen sehr großen Ausschnitt, in dem Verzerrungen unterschiedelicher Größen entstehen. Daher sind UTM-Koordinaten kaum geeignet, das 3D-Modell eines Bauwerks zu beschreiben. Für begrenzte Ausschnitte aus UTM ist es jedoch möglich, die Koordinaten in ein örtliches System zu transfomieren, in dem die verbleibenden Verzerrungen für die Bauplanung vernachlässigbar werden. Die Vermischung einer verzerrten UTM-Abblidung mit echten Projektgößen müsste zwangsläugig zu nicht mehr auflösbaren räumlichen Konflikten in der Bauausführung führen. BIM erfordert also immer die Festlegung eines örtlichen projektbezogenen Koordinatensystems.

  2. Hallo Herr Mörtel,

    danke für die Unterstützung und fachlich perfekte Ergänzung. Auch der Verweis auf das 15. Jahrhundert ist spannend!
    Beste Grüße, Frank Kocher

  3. Das verwendete Bezugssystem sollte zur Anwendung passen. Für das gängigen ETRS89 Datum kann für Baumaßnahmen auch eine für das Projektgebiet optimierte verzerrungsarme Projektion wie z.B. eine Cassini-Soldner Projektion anstatt der UTM-Projektion verwendet werden. Das ist eine rein mathematische Lösung solange man das Datum (ETRS89) beibehält.
    Eine Handlungsempfehlung dazu findet sich im Leitfaden Geodäsie und BIM_Onlineversion_2019.pdf auf der Seite 217 (https://rundertischgis.de/publikationen/leitfaeden.html#a_bim_geo)

  4. Guten Tag Herr Heuer,

    vielen Dank für Ihren fachlich kompetenten Beitrag!

    Ich hoffe nur, dass Ihre Handlungsempfehlungen auch gelesen werden. Viele Probleme in dem Zusammenhang enstehen einfach durch zu sorglosen Umgang mit den Koordinaten.
    Viele Grüße, Frank Kocher

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